Die EU-Kommission hat am 22. Dezember 2020 eine deutsche Beihilferegelung zur Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) genehmigt. Die Regelung stützt sich auf die Förderrichtlinie für Modellprojekte zur Stärkung des ÖPNV sowie auf die §§ 23 und 24 der Bundeshaushaltsordnung. Die Beihilfen werden in Form direkter Zuschüsse gewährt. Die Förderung wird aus den Haushaltsmitteln des Bundes finanziert. Die Gesamtmittelausstattung beträgt 300 Mio. Euro für einen Zeitraum von vier Jahren, wobei sich der Beihilfehöchstbetrag je Antragsteller auf 30 Mio. Euro beläuft.
Überblick über die Beihilferegelung
Ziel der Regelung ist es, die Koordinierung des ÖPNV zu unterstützen und die Verteilung des Transportaufkommens auf verschiedene Verkehrsmittel in Deutschland weiter zu verbessern. Die spezifischen Ziele bestehen darin, die Attraktivität des ÖPNV zu erhöhen, die Nutzung des ÖPNV zu steigern, die Verlagerung von Verkehren auf den ÖPNV zu erreichen und die CO2-Emmissionen des Verkehrssektors zu verringern. Gefördert werden Projekte, mit denen diese spezifischen Ziele erreicht werden, wie beispielsweise die Entwicklung attraktiver Tarife (Job-Tickets) oder die Verbesserung der Angebots- und Betriebsqualität des ÖPNV (Verknüpfung mit anderen Verkehrsmitteln).
Die Regelung gilt für das gesamte Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und richtet sich an öffentliche und private Verkehrsunternehmen, die als Genehmigungsinhaber oder in deren Auftrag Beförderungsleistungen im ÖPNV erbringen. Die Bewerber werden dabei im Rahmen eines zweistufigen Verfahrens ausgewählt. Die Laufzeit endet am 31. Dezember 2023.
Die Beihilfe kann mit Beihilfen aus anderen lokalen, regionalen oder nationalen Regelungen zur Deckung derselben beihilfefähigen Kosten kumuliert werden. Auf landesrechtlicher Grundlage ist eine Kumulierung mit Fördermitteln für dasselbe Projekt bis zu 95 % der projektbezogenen Ausgaben oder Kosten zulässig.
Vorliegen einer Beihilfe
Die EU-Kommission hatte zuvor ausführlich geprüft, ob es sich bei der deutschen Regelung um eine staatliche Beihilfe handelt.
Gemäß Art. 107 Abs. 1 AEUV sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Damit es sich bei einer Maßnahme um eine Beihilfe handelt, muss sie aus staatlichen Mitteln gewährt werden und einem Unternehmen einen wirtschaftlichen Vorteil verschaffen. Der Vorteil muss selektiv sein. Zudem muss die Maßnahme den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen und den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.
Hierzu hat die Kommission folgende Feststellungen getroffen:
Da die Förderung aus dem Bundeshaushalt bereitgestellt und die Regelung vom Bundesamt für Güterverkehr verwaltet wird, handelt es sich um eine Förderung aus staatlichen Mitteln und ist dem Staat zuzurechnen.
Darüber hinaus verschafft die Regelung den Beihilfeempfängern einen Vorteil, da diese von einem Teil der Kosten, die sie im Normalfall selbst zu tragen hätten, befreit werden. Der Vorteil ist zudem selektiv, denn er betrifft nur Unternehmen, die im ÖPNV tätig sind, und sie kommt nur einigen in dieser Branche tätigen Unternehmen zugute.
Die Förderung, die die Empfänger durch die angemeldete Maßnahme erhalten, stärkt ihre Stellung gegenüber mit ihnen im Wettbewerb stehenden ÖPNV-Unternehmen in der Union und könnte demnach den Wettbewerb verfälschen, sofern der ÖPNV-Markt für den Wettbewerb geöffnet ist. Somit ist die Kommission zu dem Schluss gelangt, dass es sich bei der Maßnahme um eine staatliche Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV handelt.
Deutschland hat die Beihilferegelung vor ihrer Durchführung angemeldet und damit seine Verpflichtung aus Art. 108 Abs. 3 AEUV erfüllt, woraus sich die Rechtmäßigkeit der Beihilfe ergibt.
Vereinbarkeit der Beihilfe mit Art. 93 AEUV
Vor diesem Hintergrund hat die Kommission die Vereinbarkeit der Beihilferegelung mit dem europäischen Beihilferecht untersucht.
Hierzu hat sie zunächst die Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 herangezogen, welche Ausgleichsleistungen für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen zum Gegenstand hat. Da die deutsche Beihilferegelung jedoch einen solchen Ausgleich nicht betrifft, fällt sie nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung, so die Kommission.
Nach Art. 9 Abs. 2 der Verordnung können die Mitgliedstaaten jedoch auf Grundlage des Art. 93 AEUV andere als die von der Verordnung erfassten Beihilfen für den Verkehrssektor gewähren. Demnach hat die Kommission die Vereinbarkeit der deutschen Regelung direkt nach Art. 93 AEUV geprüft.
Erfordernisse der Koordinierung des Verkehrs
Voraussetzung für die Vereinbarkeit einer Maßnahme mit Art. 93 AEUV ist, dass sie den Erfordernissen der Koordinierung des Verkehrs entspricht.
Der Begriff „Koordinierung des Verkehrs“ bedeutet dabei jedoch mehr als die einfache Förderung der Entwicklung einer Wirtschaftstätigkeit. Er setzt zusätzlich voraus, dass der Staat in die Entwicklung des Verkehrssektors im Interesse der Allgemeinheit lenkend eingreift. Darüber hinaus sind Verkehrsbeihilfen nur in ganz bestimmten Fällen und nur dann, wenn sie den allgemeinen Interessen der Union nicht abträglich sind, mit dem AEUV vereinbar.
Nach Ansicht der Kommission, ist die Beihilfe auf Grundlage des Art. 93 AEUV dann mit dem Binnenmarkt vereinbar, wenn vier Voraussetzungen erfüllt sind.
- Die Beihilfe muss zur Entwicklung des Verkehrssektors beitragen, als sie zum Ziel der Koordinierung des Verkehrs beiträgt. Nach Auffassung der Kommission wird die deutsche Regelung aufgrund ihrer Zielsetzung die Entwicklung des Verkehrssektors vorantreiben, indem sie zur Koordinierung des Verkehrs in Deutschland und gleichzeitig zu einem Umweltziel beiträgt. Somit sah sie die erste Voraussetzung als erfüllt an.
- Darüber hinaus muss die Beihilfe notwendig sein und einen Anreizeffekt haben. Hierzu verwies die Kommission auf ein Innovationsdefizit sowie einen Investitionsstau, der sich über die letzten Jahre im ÖPNV in Deutschland aufgebaut habe. Zudem sei das im ÖPNV etablierte System aufgrund seiner Systemeigenschaften nur schwer zu verändern, was ein Ausbleiben von Investitionen in die Entwicklung innovativer Technologien zur Folge habe. Die Notwendigkeit der Beihilfe sei somit zu bejahen. Ebenso sieht die Kommission in der Beihilferegelung einen Anreizeffekt, da mit dem geförderten Projekt nicht vor seiner Bewilligung begonnen werden.
- Die Beihilfe muss des Weiteren angemessen sein. Dies hat die Kommission dahingehend bejaht, dass die Beihilfen nach der deutschen Regelung auf das erforderliche Minimum beschränkt seien und eine Überkompensation vermieden werde.
- Schließlich darf die Beihilfe keine übermäßigen negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb haben. Nach Auffassung der Kommission überwiegen die positiven Auswirkungen der geplanten Beihilfe für die Entwicklung des ÖPNV, die zur Koordinierung des Verkehrs beitragen, gegenüber den begrenzten negativen Auswirkungen der Beihilfe auf den Binnenmarkt in Form von Wettbewerbsverfälschungen.
Deshalb ist die Kommission zu dem Entschluss gelangt, dass die Beihilferegelung mit den Erfordernissen der Koordinierung des Verkehrs im Einklang steht und deswegen auf Grundlage des Art. 93 AEUV mit dem Binnenmarkt zu vereinbaren ist.
Lena Lauterborn
Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei CBH Rechtsanwälte
(Ansprechpartner Dr. Jan Deuster)
