Am 20. Januar 2016 verabschiedete das Bundeskabinett das neue nationale Hafenkonzept für die See- und Binnenhäfen. Es enthält einen auf zehn Jahre angelegten strategischen Leitfaden für die Hafenpolitik der Bundesrepublik. U.a. sollen die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Häfen verbessert, mehr Güterverkehr auf Schiene und Wasserstraße verlagert und ein Beitrag zur Erreichung der Klima- und Umweltschutzziele der Bundesregierung geleistet werden. Das Konzept enthält sowohl einen wirtschaftsanalytischen Teil, der die zukünftigen Herausforderungen und Chancen der deutschen Häfen sowie die Ziele des Hafenkonzepts umfasst, als auch konkrete Maßnahmenpakete. Dazu gehören der gezielte Ausbau der hafenbezogenen Infrastrukturen, die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der See- und Binnenhäfen, der Umwelt- und Klimaschutz und die Verwendung alternativer Kraftstoffe, sowie die bessere Koordinierung der Hafenpolitik (zwischen Bund und Ländern).
Ist die Finanzierung von Hafeninfrastrukturen durch die öffentliche Hand eine Beihilfe?
Die deutschen Häfen stehen regelmäßig im Eigentum der öffentlichen Hand und werden dort von rechtlich selbstständigen Einheiten betrieben und verwaltet. Soweit diese Unternehmen ihre Investition oder Betriebsdefizite, die zur Umsetzung des nationalen Hafenkonzepts eingesetzt werden müssen, nicht aus eigenen Gewinnen finanzieren können, werden sie durch finanzielle Maßnahmen ihrer staatlichen Gesellschafter unterstützt werden müssen. Dabei kann es dahin stehen, ob eine unmittelbare Übernahme von Investitions- oder Betriebskosten, eine Erhöhung der Kapitalausstattung des Betreibers, der steuerliche Querverbund oder die Besicherung eines erforderlichen Darlehens durch eine Bürgschaft für die Finanzierung gewählt wird. Allen diesen Möglichkeiten ist gemein, dass sie als Maßnahmen aus staatlichen Mitteln der Beihilfenkontrolle der EU-Kommission unterliegen.
Insbesondere fallen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auch der Bau von Infrastrukturen unter den Beihilfenbegriff, wenn deren Betrieb im Wettbewerb steht. Das gilt auch für die See- und Binnenhäfen. Die Europäische Kommission hatte zuletzt im Jahr 2013 den Ausbau eines deutschen Binnenhafens als beihilfenrechtsrelevante Maßnahme eingestuft, weil Investitionen in Infrastrukturen gefördert werden sollten, die zur kommerziellen Nutzung bestimmt waren.
Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass sämtliche Maßnahmen des nationalen Hafenkonzepts beihilfenrechtlich relevant sein können, weil sie der Finanzierung von unmittelbar wirtschaftlich nutzbareren Infrastrukturen und deren Betrieb dienen. Solche Maßnahmen dürfen daher grundsätzlich nur mit Genehmigung durch die EU-Kommission durchgeführt werden, es sei denn es finden sich ausdrückliche Ausnahmen vom Genehmigungsgebot im europäischen Recht, die es aber derzeit z.B. im Rahmen der aktuellen AGVO 2014 nur in ganz engen Grenzen gibt.
Zwar ist wohl bereits für das Jahr 2017 eine Erweiterung der AGVO 2014 geplant, die auch Beihilfen für Häfen von der Anmeldungs- und Genehmigungspflicht gemäß Art. 108 III S. 3 AEUV befreien soll, dies wird aber sehr wahrscheinlich nur in engen Grenzen für Investitionsbeihilfen und eben nicht für Betriebsbeihilfen, wie sie z.B. über den kommunalen Querverbund gewährt werden, gelten. Das Erfordernis einer beihilferechtlichen Absicherung von bestimmten Beihilfen auf Genehmigungsebene wird daher wohl erhalten bleiben.
Zur Rechtfertigung von Verkehrsinfrastrukturbeihilfen nach Art 93 AEUV
Die Europäische Kommission würdigt staatliche Beihilfen für Verkehrsinfrastrukturen – zumindest im Landverkehr, wozu auch die Binnenhäfen zählen – seit in Kraft treten der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 in erster Linie wieder durch Artikel 93 AEUV. Danach sind nur Beihilfen, die den Erfordernissen der Koordinierung des Verkehrs entsprechen, mit den Verträgen vereinbar. Der Begriff „Koordinierung des Verkehrs“ geht in seiner Bedeutung über die einfache Förderung der Entwicklung einer Wirtschaftstätigkeit hinaus. Er setzt zusätzlich voraus, dass der Staat in die Entwicklung des Verkehrssektors im gemeinsamen Interesse lenkend eingreift.
Die fortschreitende Liberalisierung des landgebundenen Verkehrs hat den Koordinierungsbedarf allerdings erheblich verringert. Grundsätzlich können in einem effizienten liberalisierten Sektor die Marktkräfte selbst koordinierend wirken. Jedoch können auch nach der Liberalisierung des Sektors verschiedene Unzulänglichkeiten des Marktes fortbestehen. Erst dadurch ist ein Eingreifen des Staates in diesem Bereich gerechtfertigt.
Im Verkehrssektor können „Koordinierungsschwierigkeiten“ im ökonomischen Sinne zum Beispiel bei den Verbindungen zwischen verschiedenen Verkehrsnetzen oder mit Blick auf den Umweltschutz auftreten. Eine Beihilfemaßnahme entspricht nur dann den „Erfordernissen der Koordinierung des Verkehrs“, wenn sie einerseits für die Zielerreichung erforderlich und im Hinblick auf das verfolgte Ziel angemessen ist. Des Weiteren darf die mit der Beihilfe einhergehende Wettbewerbsverzerrung den allgemeinen Interessen der Union nicht zuwiderlaufen. Daher wird eine Beihilfe nach ständiger Beschlusspraxis nach Artikel 93 AEUV als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
⎯ Die Beihilfe trägt zu einem Ziel von gemeinsamem Interesse bei;
⎯ die Beihilfe ist erforderlich und hat einen Anreizeffekt;
⎯ die Beihilfe ist angemessen;
⎯ die fragliche Infrastruktur ist allen Nutzern diskriminierungsfrei zugänglich;
⎯ die Beihilfe bewirkt keine Wettbewerbsverzerrung, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft.
Jede staatliche Förderung von Häfen mit Beihilfenqualität muss diesen fünf Kriterien gerecht werden, wenn sie auf der Grundlage von Artikel 93 AEUV genehmigt werden soll.
Was hat das nationale Hafenkonzept mit der Genehmigungsfähigkeit von Infrastrukturbeihilfen zu tun?
Vor dem Hintergrund einer bislang fehlenden Freistellungsfähigkeit von Beihilfen für den Bau und Betrieb von Häfen muss das nationale Hafenkonzept jetzt einen Beitrag dazu leisten, die Voraussetzungen für die staatliche Finanzierungen von Häfen im Anwendungsbereich von Art. 93 AEUV zu schaffen. Dazu muss es die Ziele und Erfordernisse für einen „Koordinierung des Verkehrs“ im Hafensektor konkret beschreiben und Marktversagen offenlegen. Es muss insbesondere die ökonomischen und planerischen Sachverhalte dafür liefern, wo und in welchem Umfang der Ausbau von Hafeninfrastrukturen erforderlich und sinnvoll ist, um bestimmte Ziele von gemeinsamen Interesse zu erreichen. Diese Ziele könnten u.a. die Verlagerung von Güterverkehr auf Schiene und Wasserstraße sein sowie der Umwelt- und Klimaschutz und die Verwendung alternativer Kraftstoffe. Wenn es also gelingt einerseits über das nationale Hafenkonzept die Koordinierungserfordernisse für Hafeninfrastrukturen im Gesamtverkehrssystem und andererseits legitime Ziele im Gemeinschaftsinteresse zu beschreiben, die mit der Koordinierung erreicht werden sollen, dann könnte das nationale Hafenkonzept bereits die maßgebliche Grundlage für die Genehmigungsfähigkeit von Beihilfen für den Ausbau und Betrieb von Hafeninfrastrukturen sein.
Damit werden in Zukunft sowohl die planerischen Anforderungen an den Bau und Ausbau von Häfen, als auch die Voraussetzungen für deren Finanzierung eine koordinierte Hafenpolitik unter Berücksichtigung anerkannter Zielen von gemeinsamem Interesse erfordern.
Jan Deuster