OLG München bestätigt ÖPNV-Direktvergabe – multipolarer öffentlicher Dienstleistungsauftrag ist zulässig

Mit Beschluss vom 31.03.2016 (Az. Verg 14/15) hat das OLG München als wohl erster Vergabesenat in Deutschland eine Direktvergabe eines öffentlichen Personenbeförderungsdienstleistungsauftrags einer Kommune an ihr eigenes kommunales Verkehrsunternehmen für rechtmäßig erklärt. Danach steht es einer Kommune uneingeschränkt frei, ihren ÖPNV mit eigenen Beteiligungsgesellschaften (internen Betreibern) zu organisieren. Der Beschluss stellt auch über den Einzelfall hinaus einen wichtigen Meilenstein dar und zwar sowohl für die Verteidigung von Direktvergaben an das eigene kommunale Verkehrsunternehmen als auch für die Gestaltung öffentlicher Dienstleistungsaufträge im zweigliedrigen Marktzugangsverfahren des § 8a PBefG.

Die Besonderheit des Beschluss liegt nämlich unter anderem darin, dass ein Vergabegericht erstmals die Zulässigkeit von so genannten multipolaren Betrauungsakten im Direktvergabeverfahren bestätigt. Damit sind öffentlichen Dienstleistungsaufträge gemeint, die einerseits aus einem öffentlichen Finanzierungsrechtsakt der Kommune und andererseits den staatlich erteilten, personenbeförderungsrechtlichen Liniengenehmigungen bestehen. Nach dem OLG München ist die Direktvergabe bei richtiger Gestaltung auch bei Kombination beider Rechtsakte zulässig: die Liniengenehmigung komplettiert dabei den öffentlichen Dienstleistungsauftrag der Kommune.

Damit greift jetzt auch die deutsche Vergabejurisprudenz erstmals die durch die Europäische Kommission in dem Beihilfenbeschluss C 58/2006 vom 23.02.2011 zur Finanzierung des VRR getroffene Feststellung auf, wonach im deutschen ÖPNV ein mehrgliedrige Betrauung erforderlich ist, bestehend aus dem kommunalen Finanzierungsrechtsakt sowie den personenbeförderungsrechtlichen Liniengenehmigungen. Dabei legen nur letztere dem Betreiber die europarechtlich anerkennungsfähigen gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen auf: nämlich die Betriebs-, Beförderung-, Fahrplan- und Tarifpflicht. Das bedeutet, ohne Liniengenehmigungen gibt es auch keine ordnungsgemäße Betrauung als Voraussetzung für einen wirksamen öffentlichen Dienstleistungsauftrag. Der Beschluss des OLG München bestätigt jetzt erstmals, dass die Direktvergabe beider Rechtsakte als multipolarer öffentlicher Dienstleistungsauftrag systemimmanent zulässig ist.

Sachverhalt

Dem Rechtstreit ging eine EU-weite Vorabbekanntmachung einer Fortsetzungsvergabe von auslaufenden Liniengenehmigungen für Busverkehrsleistungen voraus. Ein darauf folgender eigenwirtschaftlicher Genehmigungsantrag eines privaten Verkehrsunternehmens konnte im Genehmigungsverfahren erfolgreich abgewehrt werden. Zugleich griff der Antragsteller die Direktvergabe unmittelbar über den Vergaberechtsweg an. Im Wesentlichen trug er dabei vor, Direktvergaben seien im deutschen Recht per se unzulässig; sie verletzten darüber hinaus private Verkehrsunternehmer in ihren Grundrechten; im Übrigen lägen die Voraussetzungen für eine Direktvergabe an den internen Betreiber gem. Art. 5 II VO (EG) Nr. 1370/2007 gegenüber der AVG nicht vor.

Gründe

Diese Argumente hielten weder vor der Vergabekammer Südbayern (Beschl. v. 07.10.2015, Az.: Z3-3-3194-1-36-05/15) noch vor dem OLG München stand: Ausschreibungsfreie Direktvergaben öffentlicher Dienstleistungsaufträge an kommunaleigene Verkehrsunternehmen sind danach ausdrücklich zulässig. Eindeutiger als in § 8a III PBefG konnte der deutsche Gesetzgeber die Zulässigkeit von Direktvergaben nicht formulieren. Möglicherweise entgegenstehende landesrechtliche Normen treten wegen des Vorrangs bundesrechtlicher Normen hinter das PBefG zurück und scheiden insoweit als Prüfungsmaßstab für die Zulässigkeit von Direktvergaben aus.

Es bestehen auch keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 8a III PBefG. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass eine Direktvergabe den Schutzbereich der Berufsfreiheit berührt. Denn ein objektives Marktzugangshindernis wird durch Art. 8a III PBefG wegen des Vorrangs eigenwirtschaftlicher Verkehrsleistungen gerade nicht geschaffen. Dies wäre nur der Fall, wenn es privaten Unternehmen unmöglich gemacht werden würde, jegliche Personenbeförderungsleistung eigenständig zu erbringen.

Die Entscheidung für eine Direktvergabe beruht zudem auf einem primär politisch gewollten Wahlrecht zwischen Ausschreibung oder Direktvergabe. Es gibt kein Erfordernis, die Entscheidung am Maßstab eines „ökonomischen Effizienzvergleiches“ zu treffen.

Ferner setzt die Anwendbarkeit von Art. 5 II VO (EG) Nr. 1370/2007 auch nicht das Vorliegen einer Dienstleistungskonzession voraus, sondern gilt für jede In-house-Vergabe. Insbesondere entfaltet Art. 5 I, II VO (EG) Nr. 1370/2007 keine Sperrwirkung dergestalt, dass im Falle von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen die allgemeine In-House-Rechtsprechung nicht mehr zur Anwendung kommt. Das würde nämlich dazu führen, dass im Bereich des öffentlichen Personenverkehrs In-House-Vergaben in Form von Dienstleistungsaufträgen grundsätzlich nicht mehr möglich wären. Dies wird jedoch durch nichts gestützt und widerspricht dem Geiste der VO (EG) Nr. 1370/2007.

Im konkreten Fall lagen auch die Voraussetzungen für eine Direktvergabe an den internen Betreiber vor. Die erforderliche Kontrolle kann nämlich selbst im Falle einer vorgelagerten kommunalen Holdingstruktur mit obligatorischem Aufsichtsrat gewährleistet werden.

Schließlich bestätigt der Senat, dass sich öffentliche Dienstleistungsaufträge aus „mehrpoligen“ Akten zusammensetzen können, wenn der kommunale Rechtsakt an den Bestand und die Laufzeit der Liniengenehmigungen gekoppelt wird. Der öffentliche Dienstleistungsauftrag wird dann bei einer ordnungsgemäßen Fortsetzungsvergabe über die Liniengenehmigungen komplettiert.

Es bleibt also festzuhalten, dass dort wo kein Wettbewerb existiert, Aufgabenträger auch nicht gezwungen sind, solchen zu schaffen. Außerhalb echter eigenwirtschaftlicher Angebote können Verkehrsunternehmen keinen Wettbewerb bei der Auftragsvergabe erzwingen. Ferner brauchen sie auch nicht für jede Neuerteilung von Liniengenehmigungen einen neuen kommunalen Rechtsakt, sondern können bei richtiger Gestaltung den öffentlichen Dienstleistungsauftrag über die Liniengenehmigungen aktualisieren.

Jan Deuster